Interview mit Marc Elsberg zu »°C – Celsius«
Wenn Sie es in drei Sätzen formulieren müssten: Wovon handelt ihr neuer Roman °C-Celsius?
°C – Celsius stellt unsere Vorstellungen vom Klimawandel auf den Kopf. Als China die Kontrolle über das Klima übernehmen will, um den Himalaya vor dem Abschmelzen zu retten, droht ein globaler Konflikt. Noch ahnt niemand, dass dies erst der Beginn einer noch viel dramatischeren Entwicklung ist.
Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Sie wussten, Geoengineering ist mein nächstes Thema?
Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, fand aber die naheliegende Zauberlehrlingserzählung „Mensch spielt Gott, greift in die Natur ein und es endet in der Katastrophe“ ebenso langweilig erwartbar wie falsch. Ich wollte eine überraschendere Erzählung, die ich so noch nicht gesehen hatte. Als mir klar wurde, dass und wie das funktionieren könnte, hatte ich meine Geschichte.
Geoengineering, ein Begriff, unter dem nur wenige sich etwas vorstellen können. In °C-Celsius ist das ein Machtmittel und ein Megabusiness. Sind einzelne Staaten auf dem Gebiet des Geoengineering heute tatsächlich schon so weit, dass ein Szenario wie im Buch vorstellbar wäre?
Die meisten Technologien für ein Szenario wie im Buch sind grundsätzlich vorhanden und könnten rasch angepasst werden. Bei Solar Radiation Management, wie im Buch beschrieben, simuliert man quasi einen großen Vulkanausbruch und bringt feine Aerosole und Partikel in der Stratosphäre aus. Großdrohnen, die das Material dorthin transportieren können, existieren noch nicht, könnten aber binnen einiger Jahre entwickelt werden. Eine andere mögliche Transportmethode mit konventionellen Flugzeugen beschreibe ich im Buch. Geoengineering allgemein umfasst sehr viele verschiedene Ansätze. Da geht es um Ideen wie das Düngen der Meere mit Eisenspänen, was im Kleinen schon versucht wurde, um Gletscherabdeckung, gentechnisch veränderte Pflanzen, die mehr CO2 absorbieren und vieles anderes. Viele Ideen sind reine Spinnerei oder viel zu teuer, andere realistischer. Was für praktisch alle Ansätze derzeit wegen mangelnder Forschung noch fehlt, ist ausreichend Wissen über Details – etwa über die optimalen Stoffe, Ausbringungsorte, -zeiten und -mengen für Solar Radiation Management – und über mögliche Konsequenzen.
Klimadesign, Klimaschranke und Moral Hazard – °C-Celsius ist auch ein Thriller voll großer Konzepte und Visionen – haben Sie sich das alles ausgedacht? Wie realistisch ist das Szenario, das Sie in Ihrem Buch entwerfen?
Der Begriff Klimadesign wird derzeit im Zusammenhang mit Klimaanlagen und Architektur verwendet. Im Thriller wendet ihn eine Figur auf die ganze Welt an. Und gibt ihm so eine ganz neue Dimension und Bedeutung! Außerdem klingt „Klimadesign“ viel besser als das technokratische „Geoengineering“. Die bedrohliche Technik wird auf einmal cool! Als „Klimaschranke“ bezeichnet ein Charakter im Buch eine Art neuen Eisernen Vorhang, durch den Klimaflüchtlinge aus Süd- und Mitteleuropa ferngehalten werden sollen. Das Problem des Moral Hazard ist aus den verschiedensten Zusammenhängen schon lange bekannt: Einzelne gehen ein höheres Risiko ein, als sie dürften, beziehungsweise nehmen keine Rücksicht auf andere, weil sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht selbst tragen müssen. Wie realistisch das Szenario ist? Ich bemühe mich eigentlich fast immer, Szenarien zu entwerfen, die in naher Zukunft oder bereits heute machbar sein könnten.
Was genau passiert, wenn es zu dem in Ihrem Thriller skizzierten Termination-Schock kommt?
Das Konzept des Termination-Schocks geht – einfach gesagt – davon aus, dass man versuchen könnte, die Erderwärmung mit technischen Mitteln zu bremsen, indem man beispielsweise eine Art kühlende Schicht um die Erdatmosphäre legt. Das müsste man allerdings jahrzehntelang tun. Falls man diese Schicht jedoch zu früh entfernt, würde die bis dahin unterdrückte Erwärmung binnen ein bis zwei Jahren nachgeholt, und das womöglich sogar überschießend. Die Erdatmosphäre könnte sich also binnen zwei oder drei Jahre um ein, zwei oder drei Grad erwärmen.
Ist tatsächlich zu befürchten, dass die Mehrheit der Staaten ihren Bemühungen zur CO2-Reduzierung einstellen, wenn erste Geoengineering-Maßnahmen zum Einsatz kommen?
Die ganz überwiegende Mehrheit der Staaten bemüht sich nicht einmal ohne Geoengineering um ausreichend CO2-Reduzierung. Ziemlich sicher würden sie sich mit Geoengineering noch weniger anstrengen.
In °C-Celsius sind es die Chinesen, die den Großen Sonnenschirm entwickeln. Wie kamen Sie darauf?
Weil China erstens das Interesse an einem stabilen Klima hat, um das gigantische Wasserreservoir des Himalayas zu erhalten, zweitens als Diktatur bessere Möglichkeiten der Geheimhaltung auch von Großprojekten besitzt und drittens als Supermacht die dafür notwendigen finanziellen Mittel aus der Portokassa aufbringen kann.
Sie deuten in Ihrem Buch eine Möglichkeit an, wie die Staaten der Erde einen Konflikt zum Thema Geoengineering vermeiden könnten: nämlich, indem sie eine neue Solidarität ausbilden und mehrheitlich eine globale Compliance dazu vereinbaren. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass dies passiert? Müsste man nicht schon aus der heutigen Situation daraufhin arbeiten?
Diskussionen um eine derartige globale Compliance werden geführt, sind aber bislang nicht sehr weit gediehen. Debatten und Forschung zum Thema Geoengineering nehmen jedoch zu. 2022 etwa haben die USA einen gewaltigen Millionenetat dafür freigegeben. Mit diesem sollen von verschiedensten Institutionen wie Universitäten, privaten Instituten, Militär etc. breit zum Thema geforscht werden: sowohl zu verschiedenen Geoengineeringmöglichkeiten und deren Machbarkeit als auch zu möglichen gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen, wie etwa die Gefahr von Konflikten oder die Möglichkeiten internationaler Kooperationen. Angesichts dessen müsste man dringend über globale Koordination und Abkommen diskutieren.
Eine Klima-Wissenschaftlerin, eine Umweltaktivistin, ein Journalist, ein Unternehmer und einige Staatschefs stehen im Mittelpunkt von °C-Celsius. Bei welchem/r Ihrer Protagonist*innen liegt Ihre ganz persönliche Sympathie?
Mein Lieblingscharakter in der Geschichte ist der Unternehmer Emanuel „Manu“ Sanusi, weil er verrückt ist und leidenschaftlich, weil er weiter denkt und geht, als andere. Wobei das nicht heißt, dass ich seine Visionen gut finde. Denn er ist auch ziemlich rücksichtslos.
In Ihrem Thriller ist es wie im echten Leben: Auch im Angesicht von Wetter-Katastrophen glaubt niemand an die Unbewohnbarkeit der Erde, niemand unternimmt wirklich etwas. Was muss denn passieren, damit die Menschheit umdenkt und handelt?
So schnell wird die Erde nicht unbewohnbar – eine der faszinierendsten Eigenschaften der Spezies Mensch ist ihre Anpassungsfähigkeit, die ihr ermöglichte, sich als eine von wenigen Tierarten dauerhaft in allen Klimazonen zu etablieren: Wir finden sie von eisigen arktischen Regionen bis in glühendste Wüsten und überall dazwischen ohnehin. Anpassung kann allerdings nur eine Teilstrategie im Umgang mit den kommenden Entwicklungen sein, denn die Klimaveränderung und damit Umweltveränderungen geschehen so schnell, dass oft zu wenig Zeit für Anpassung bleibt, für menschliche Gesellschaften ebenso wie für andere Lebewesen. In vielen Weltgegenden ist Anpassung an die kommenden Umstände unmöglich: wenn deine Heimat überflutet wird, ist sie weg und du brauchst eine neue. Wenn das Meer zu warm wird, stirbst du als Koralle. Fertig. Da wird „Anpassung“ zu einem zynischen Ratschlag von weniger Betroffenen.
Worauf müssten Menschen konkret verzichten, was ändern, um die Erderwärmung zu stoppen?
Die notwendigen Maßnahmen sind bekannt: schnellstmöglicher Umstieg auf erneuerbare Energien, Ausstieg aus der industrialisierten Tierhaltung, Stopp der Tropenwaldabholzung, Schaffung von CO2-Senken (Wälder, Moore, Mangroven, Holzbau u.a.), komplette Neuorganisation unseres Wirtschaftssystems von Konsum- und Wegwerfgesellschaft zu Kreislaufwirtschaft, Bildung besonders auch für Frauen in Schwellen- und Entwicklungsländern, um einige der wichtigsten zu nennen. Vor allem der Westen müsste allerdings viel, viel schneller und konsequenter vorgehen als bisher, entsprechende Gesetze erlassen, CO2-Preis erhöhen, Umstellungen und Maßnahmen massiv finanziell fördern. Dass der Westen das könnte und das Geld dafür hätte, hat er während der Pandemie bewiesen.
Ist °C-Celsius ein Plädoyer für Handeln – Jetzt!, ein Weckruf an die Politik, ein Klima-Blockbuster oder ein aufrüttelndes Gedankenexperiment?
Plädoyers und Weckrufe in Sachen Klima bekommen wir seit Jahrzehnten serviert, da muss ich nicht noch eines drauflegen. °C – Celsius soll ein spannender Thriller sein, über den man nach dem Lesen noch weiter nachdenkt. Ich glaube auch nicht, dass als Unterhaltung getarnter Aktivismus funktioniert. Andersrum wird ein Schuh daraus: Unterhaltsamer Aktivismus wäre wahrscheinlich erfolgreicher als das, was wir meistens in diesem Bereich sehen.
Begreifen Sie sich eigentlich auch ein Stück weit als politischer Autor?
Frei nach Paul Watzlawick: man kann nicht nicht politisch sein. Insofern es bei Politik ja nicht nur um Parteipolitik geht, sondern darum, die Beziehungen von Menschen zueinander und innerhalb einer Gemeinschaft zu regeln – was wir alle permanent tun, bewusst und unbewusst, durch Teilnahme oder bewusste Nicht-Teilnahme in unserer Familien, unseren Freundeskreisen, am Arbeitsplatz, in Vereinen. Ich bin also so viel oder so wenig politischer Autor wie wir alle politische Menschen sind.
Wenn Sie sich entscheiden müssten: würden Sie Geoengineering befürworten oder ablehnen?
Derzeit kann ich Geoengineering weder befürworten noch ablehnen, weil wir zu wenig darüber wissen. Der nächste notwendige Schritt wäre ausführliche theoretische und praktische Forschung. Erst wenn wir ausreichend Fakten haben, können wir eine Pro-Contra-Diskussion führen. Wobei: Würden wir konsequenter und viel schneller klimaneutral, als derzeit geplant und abzusehen, würde sich die Diskussion womöglich erübrigen.