Erste Hälfte super spannend, zweite Hälfte dreht sich im Kreis
Von: Jenny
Datum:
15. November 2016
Rezension:
Zu Beginn verfolgt das Buch mit der Untersuchung zum Tod des US-Außenministers, der Entdeckung von resistentem Mais, dem ungewöhnlichen Angebot einer Kinderwunschklinik und dem Verschwinden einer jungen MIT-Studentin vier verschiedene Handlungsstränge, die noch keinerlei Verbindung zueinander haben. Dabei wird ein Handlungsstrang jedoch nicht immer von derselben Person erzählt, sondern wechselseitig aus den Perspektiven, die gerade gewinnbringend für den Verlauf sind. Beispielsweise berichtet manchmal Jessica, Mitarbeiterin des Sicherheitsstabs im Weißen Haus, von neuen Erkenntnissen zum Tod des Außenministers, manchmal aber auch Jaylen, ein FBI-Beamter. Der resistente Mais wird vom Wissenschaftler Jegor untersucht, aber er bekommt mit Gordon bald kompetente Hilfe an die Hand und im Hauptsitz des Chemiekonzerns zerbrechen sich die Personen rund um Vorstandschef Helge den Kopf über die Befunde. Helen und Greg berichten abwechselnd von ihrem Besuch bei der Klinik und die verschwundene Studentin, Jill, lernt der Leser zuerst durch ihren Leibwächter Jim und ihre Mutter Hannah kennen.
Anfangs ist es noch relativ einfach, den unterschiedlichen Handlungssträngen und Perspektiven zu folgen. Die vier Teile der Geschichte sind klar voneinander unterscheidbar und innerhalb eines Handlungsstranges ist es auch gar nicht so wichtig, alle Charaktere im Blick zu haben, da beispielsweise die Vertreter der amerikanischen Dienste CIA, FBI, Homeland Security etc., die den Tod ihres Außenministers untersuchen, ohnehin immer nur gemeinsam auftreten. Je mehr die Handlungsstränge miteinander verschmelzen, desto komplizierter wird es jedoch, den Überblick zu behalten, wer denn jetzt wie viel wovon weiß. Als nicht mehr jede Figur an ihrem eigenen Problem herumexperimentiert, sondern auch Informationen von anderen Stellen bekommt, war es nicht mehr so leicht, dem Informationsfluss zu folgen. Gerade die Tatsache, dass jeder unterschiedliche Details erfährt, an anderen Stellen belogen wird und sich selbst seine eigene mehr falsche als richtige Geschichte zusammen bastelt, war irgendwann sehr verwirrend. Mehr als einmal hat mich die Überraschung eines Charakters überrascht, weil ich der festen Überzeugung war, er wäre korrekt informiert gewesen. Dabei war es dann auch nicht hilfreich, dass bis zum Schluss ständig noch neue Perspektiven eingeführt wurden und gefühlt die Hälfte der Vornamen mit J anfangen, sodass ich manchmal nicht wusste, ob die Person nicht doch schon mal vorgekommen ist. Neben den oben bereits erwähnten Namen (Jessica, Jaylen, Jegor, Jill und Jim) gibt es nämlich beispielsweise noch zwei Jacks, Jason, June, Jelena, Justine ...
Neben der Verwirrung darüber, welcher Charaktere über welche Dinge informiert ist, hat das Verschmelzen der unterschiedlichen Handlungsstränge aber auch noch die rapide Abnahme der Spannung zur Folge. Normalerweise hätte ich das erleuchtende Verständnis der letzten Zusammenhänge und den damit verbundenen Höhepunkt der Spannung am Ende des Buches erwartet. Stattdessen ist schon kurz vor der Mitte des Buches so gut wie alles klar – und das nicht nur dem Leser, sondern auch den Charakteren. Es gilt noch, verschwundene Personen zu finden und die Menschheit zu retten, aber außer dass sich die verschiedenen Figuren und Interessensgruppen dabei gegenseitig im Weg stehen, passiert nicht mehr viel. Die für mich viel spannendere Frage, wie genau alles zusammen hängt und wer dahinter steckt, ist nach der Hälfte des Buches beantwortet.
Ab diesem Zeitpunkt ist jedoch nicht nur die Spannung verschwunden, auch die Geschwindigkeit der Geschichte verebbt. Es gibt Reibereien und Handgreiflichkeiten, die jedoch letztlich zu nichts führen und immer wieder am Ausgangspunkt enden. Alle Parteien sind und bleiben sich gegenseitig unsympathisch. Und die sich im Kreis drehenden ethischen Diskussionen zur Forschung an Embryonen, zur Manipulation von Genen und zur Gentechnik im Allgemeinen sind alle schon aus der Realität aus den Medien bekannt. Ich kann durchaus verstehen, dass Wissenschaftler auf eigene Faust unter dem Radar fliegend Experimente durchführen, denn die ethischen Debatten werden wohl niemals einen Konsens erzielen. Das tun sie im echten Leben nicht, im Buch werden aber leider auch keine neuen Ansätze geliefert. Einzig die im Buch mit einbezogene Sichtweise der „sonderbegabten“ Kinder bringt etwas frischen Wind in die Angelegenheit.
Nichtsdestotrotz hat mir die Idee des Buches sehr gefallen. Es regt zum Nachdenken darüber an, wie es in der Realität wohl mit solchen „privaten Forschungsprogrammen“ steht und ob wir in unserer Leistungsgesellschaft mit „den besten Voraussetzungen“ nicht einige essentielle Punkte übersehen. Die zahlreichen Exkurse in die Biologie und die Gentechnik, die das Buch in diesem Zusammenhang vornimmt, waren mir anfangs zwar aus der Schule bekannt, im weiteren Verlauf aber durchaus spannend. Die Entwicklungen, Eingriffe und Veränderungen, die der Autor beschreibt, sind alle gut begründet und die Erklärungen gehen auf der wissenschaftlichen Ebene weit genug in die Tiefe, um die Geschichte erschreckend realistisch erscheinen zu lassen.
Fazit:
Die Idee des Buches ist interessant und wirkt erschreckend realitätsnah. Die Exkurse in Biologie und Gentechnik zur Erklärung der wissenschaftlichen Entwicklung haben mir gefallen. Zu Beginn ist die Geschichte außerdem spannend und die vier Handlungsstränge werden schnell vorangetrieben. Durch den ständigen Wechsel der Perspektiven ist die Entwicklung der Handlung sehr dynamisch und packend. Den Höhepunkt erreicht das Buch allerdings schon kurz vor der Mitte, als alle Stränge zusammenlaufen und die Hintergründe offenbart werden. Ab dem Zeitpunkt drehen sich viele Dinge wie ethische Diskussionen und Reibereien nur noch im Kreis. Außerdem treffen die Charaktere in unterschiedlichen Konstellationen aufeinander, erfahren verschiedene wahre wie gelogene Details und spinnen sich daraus eigene Geschichten zusammen, sodass ich bald den Überblick verloren habe, wer wie viel wovon wusste und wen schon mal getroffen hatte. Insgesamt hat mich die erste Hälfte des Buches begeistert und die zweite Hälfte enttäuscht, sodass ich an „Helix – Sie werden uns ersetzen“ drei Schreibfedern vergebe.